Es war das erste Jahr in der Quasi-Pension als DJ. Die Bilanz sagt alles: 2005 hab ich insgesamt rund 40 mal die Plattenteller drehen lassen, 2006 drei Mal. Ich werd das auch im nächsten Jahr nicht viel anders handhaben und mir Anlässe gut aussuchen – und ebenso, was ich auflegen werde. Das übliche Indie-Kids-Disco-TamTam werdet ihr von mir nicht mehr so schnell zu hören kriegen – das machen die jungen Kollegen besser 😉

So gut wie alle Hitlisten – ob kommerziell oder „Indie“, Print- oder Funkmedium – werden von Gnarls Barkley´s „Crazy“ angeführt. Eine interessante Tendenz (oder doch eher eine Ausnahme?). Jedenfalls werden die einst so tiefen Gräben „Indie“ und „Kommerz“ langsam aber sicher zugeschüttet – und ich sage Gott sei Dank. Ich hab nix gegen gute Popmusik. Und schon gar nix gegen Popmusik, die auch gut ist. Gnarls Barkley haben geschafft, beide „Welten“ anzusprechen, ebenso wie etwa die Scissor Sisters oder auch andere. Sind mir nicht die allerliebsten und supersten Beispiele aus dem Musikjahr 2006, aber sind mir immer noch tausendfach lieber als diverse Klon-Stars, Boygroups und billige Dancefloors-Coverversionen. Also.

Der NME hat 2006 das Jahr der Frauen genannt. Mag sein. Die Beispiele Lilly Allen oder Regina Spektor greifen mir aber viel zu kurz und zeigen, dass der NME auch nix anderes ist als die englische Bild-Zeitung für den Musik-Teenie. Drauf geschissen, sag ich, und das sagt übrigens auch Lilly Allen selber in ihrem myspace-Blog. Sehr cool, das, auch wenn mir die Dame musikalisch überall vorbei geht.

Wie überhaupt mySpace DAS Riesending wurde in 2006. Die Seite selbst ist aus technischer und programmierphilosophischer Sicht zwar eine Katastrophe, aber es war Zeit, das sowas kommt – denn das Prinzip ist supereinfach, und die Kommunikation wird von und über mySpace auch viel stärker in die reale Welt rübergeholt als bisher im/aus dem Internet. Selbst wir ink´s haben eine myspace-Seite.

Im kommerziellen Bereich hat die „Deutsch“-Welle meiner Einschätzung nach ihren Höhepunkt überschritten und ist damit offenbar streßfrei im Stande, ein paar stille und überraschende Höhepunkte zu setzen. Trend-Trittbrettfahrer wie Hund am Strand oder die Fotos sind dagegen wie übermotivierte Fußballer – nicht so wirklich im Stande die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. So gesehen – und auch wenn hier Eigenlob in den Himmel stinkt – war die beste deutschsprachige Platte 2006 „Ja, Panik“ von Ja, Panik. Slackertum at it´s best, frech und graderaus – trotzdem tiefgehend und keineswegs primitiv. Eine tolle Platte, nach wie vor. Aber – zu meiner Verteidigung – ich hab auch Die Sterne immer sehr gemocht

Am Live-Sektor spitzt sich die Lage weiter zu – es gibt ein paar große, fette Festivals, die alles interessante an Acts aufkaufen, aber große Mankos in Sachen Atmosphäre, Stimmung, Gemütlichkeit und mitunter auch Leistbarkeit haben. Dagegen ist die Wiesen-Veranstaltungsfirma nach dem vermurten Forestglade-Absagewahnsinn tatsächlich in Konkurs gegangen. Gute Nacht.

Überhaupt werde ich das Gefühl nicht los, es gäbe nur mehr extrem große und mickrig kleine Acts – nix mehr dazwischen. Franz Ferdinand und Mando Diao bespielen mittlerweile die Stadthalle, Mia demnächst den Gasometer – dagegen sind „kleine“ Shows in Lokalen wie etwa dem Chelsea nur mehr selten bis gar nicht ausverkauft, selbst wenn dort ausgesprochen coole Acts zu Gast sind. Mal sehen wie das weiter geht, die Tendenz ist jedenfalls äußerst bedenklich.

Wie siehts mit den neuen Künstlern aus? Die Arctic Monkeys haben (zurecht) alles abgeräumt, was geht. Für mich sind sie die letzten, die im Zuge dieser Retro/The/Speedrock-Indie-Welle derart emporgeschossen kommen. Das Ding ebbt ebenfalls schon ein wenig ab und die (künstlerisch) auf mittlerem Niveau stagnierenden Bands wie Franz Ferdinand oder Mando Diao sind bereits in der Cash Cow-Phase (lies nach in BWL 1, was das so alles bedeutet). Da kommt nix interessantes mehr nach. Bands wie The Fratellis haben Spaß an der Sache, das zählt also nur bedingt . Die Stadien dieser Welt werden es ihnen bald danken. Zu meinem Bedauern dort sind mittlerweile angekommen sind Red Hot Chili Peppers (dem Mainstream angepasstes, aber immer noch respektables, okayes neues Album) Placebo (dito) oder sogar Billy Talent, brrr. Auf dem besten Weg dorthin sind die von den Kids unfassbar verehrten Panic! At The Disco… na von mir aus.

Dagegen sind wieder leise oder ungewöhnliche Töne angesagt. Clap Your Hands Say Yeah können einem den letzten Nerv rauben, aber haben was; das gleiche gilt etwa für Bands wie Beirut – eine absolut überraschende Abwechslung in den Kritikerhöhen.

Dort sowieso ganz vorne, oben oder wo auch immer – zumindest bei mir: Phoenix. Es ist unglaublich, welches Talent für Pop-Melodien in diesen Köpfen schlummert – und es ist mir ebenso unbegreiflich wie eigentlich sogar Recht, dass diese Band nicht schon längst viermal hintereinander das Ernst-Happel-Stadion auszuverkaufen imstande ist. Scheiß auf Robbie Williams (neues Album: eine Katastrophe, ein Musterbeispiel an Uninspiriertheit!… und das sag ich als einer, der zwei, drei Robbie Williams-Alben für ausgesprochen gute Popware hält)! Phoenix und deren Album „It´s Never Been Like That“ (sowie  auch die Single „Consolation Prizes“): das ist meine Lieblingsdefintion von Pop im Jahr 2006, ha!

Dann bin ich heuer auf etwas gestossen, was es zwar schon lang gibt, was ich aber bisher nicht kannte: Cat Power. Der Song „The Greatest“ und das dazugehörige Album bekommen einen Ehrenplatz im Regal mit der Aufschrift 2006. Der Song ist auf Skofield´s inkmix Volume 1 zu finden, übrigens.

Leute wie Damien Rice sickern bei mir langsam ebenfalls tief ins Langzeitgedächtnis, nachdem Ryan Adams dort eh schon einen fixen Anbetungsturm stehen hat.

Ich hab auch heuer wieder Respekt haben gelernt – etwa vor großartigen Produzenten und ihren Werken. Da gehören – buht mich ruhig aus – sogar Christina Aguilera´s Chartsingle „Ain´t No Other Man“ dazu. Aus einem Jazzsample heraus die Hitparade zu knacken – Respekt, eben – auch wenn mir Frau Plastiktuttel immer noch wurscht ist. Auch mein alter Liebling Timbaland ist mit dem neuen Justin Timberlake-Album aus der „Pension“ zurückgekehrt… danke, nehm ich auch! Und das die Black Eyed Peas beziehungsweise ihr absolut genialer Frontmann Will.I.Am (ich kenne und schätze die Band halt noch aus ihren Prä-Hitparaden-Zeiten ohne die Nervensäge Fergie) den alten Sergio Mendes noch einmal zu einem Helden machen, verdient ebenfalls größte Anerkennung: Danke, dass die Kids dieser Tage jetzt auch „Mas Que Nada“ mitsingen können!

Dann hätten wir da noch die Kategorie Video des Jahres – und hier können wir uns glaube ich jegliche Diskussion ersparen, denn wer zum Teufel würde schon wissen, wer die von mir durchaus schon länger gemochte Band Ok Go ist, wäre da nicht dieses zum Niederknien köstliche Video zu „Here It Goes Again“.

Ein Ausblick sagt mir, dass die Hype-Welle der letzten Jahre ein wenig nachlassen wird, etwas „Normalität“ in die große Rock´n´Roll-Welt zurückkehren wird und die Newcomer nicht mehr so beliebig, oft und intensiv auf uns zurollen wie in den letzten Jahren. Seien wir uns ehrlich: wer ist davon wirklich übrig geblieben? Ich sehe auf der anderen Seite aber ein steigendes Interesse an einigermaßen gehaltvoller Musik (wenngleich nicht im breitest-kommerziellen Sinn aller Zeiten).

Da die Wirtschaftsprognosen gut sind – und hoffentlich so bleiben – können sich die Leute wieder „ernsterer“ Musik widmen. Das klingt zwar vielleicht absurd, ist aber wissenschaftlich längst erwiesen. Desto „unglücklicher“ und unzufriedener die Menschen sind, desto lieber gehen sie zu Partys und tschechern sich nieder – entsprechend hoch ist das Interesse an eher sinnschwachen Tanz- und Springmusiken wie Ska, Punk und dergleichen. Nicht das die per se schlecht wären, aber Musik, die emotional (und nicht „nur“ körperlich) bewegt, ist mir da doch um einiges lieber. Musik, die etwas zu sagen hat, noch mehr. In diesem Sinne: Geht´s der Wirtschaft gut, geht´s uns allen gut, oder so. … auf ein spannendes 2007.

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