Die Musik-Chose haben wir ja ausführlich besprochen, aber das Leben ist ja nicht nur Pommes und Disco, wie ein deutscher Kollege zu sagen pflegt. 2006 war ein durch und durch seltsames Jahr, und schon die Vorahnung auf so ein Jahr hat in mir ein komisches Gefühl hochgebracht.

Natürlich sind da persönliche Sachen und Ereignisse viel schlagender als die „öffentlichen“ – und von beiden gab es mehr als genug. Lassen wir das private einmal privat sein und konzentrieren wir uns auf das, was jeder mitbekommen hat, der sehenden Auges durch das Jahr 2006 spaziert ist.

Da taucht ein 18jähriges Mädchen auf, das zehn Jahre als vermisst und also eigentlich längst als tot galt. Da wird ausgerechnet Italien Fußball-Weltmeister, während sich ausgerechnet Deutschland als Fußball-Mannschaft wie als Volk so eigenartig positiv darstellt, dass einem das dabei ausgelöste Kopfschütteln heftige Schmerzen verursacht. Da verabschiedet sich ein Weltklasse-Fußballer mit einer dümmlichen Aktion von der „Bühne“. Da blamiert sich das hiesige Nationalteam ein- ums anderemal, während zwei „Neunmalkluge“ den Aufstand proben und sich nix mehr um das Land der Berge pfeifen.

Da wird zur Leistungssteigerung Blut gewaschen und hernach gleichsam die Hände in Unschuld; während ein Trainer, der gar keiner sein darf, völlig auszuckt und das Wort „Provinzposse“ neu und schlagkräftig definiert.

Da leistet sich die größte Partei Österreichs den „Luxus“, ihre Quasi-Vorfeldorganisation, die Gewerkschaft, vor die Hunde gehen zu lassen – nur, um dann trotzdem die Wahlen zu gewinnen. Da feiert ein Haider-Kopist die Wiederauferstehung des platt-polemischen Populismus in der Politik mit einem Wahlerfolg. Da werden weiterhin dreiste Lügen solange als die einzige Wahrheit dargestellt, bis es eh jeder glaubt.

Da nimmt sich eine neue Zeitung dies gleich zum Vorbild, verbreitet fortan täglich seine „News“ und nennt sich noch dazu großkotzigst möglich „Österreich“.

Da geht das stimmigste und mit größter Vorfreude erwartete Festival gleich im doppelten wahrsten Sinne den Bach hinunter. Da kreischen und gröhlen die mit Vergnügen Obrigkeitshörigen Jungmenschen beim Erscheinen eines schwerst Drogenkranken – während ihre Eltern und Großeltern schockgefroren feststellen, dass auch ihre Generation ein derartiges „Vorbild“ zur Verfügung hat.

Da gibt es ein Mädchen, dessen Berühmtheit darauf beruht, berühmt zu sein, und dessen Aufgabe es ist, aktuelle Umfragen dazu zu bringen, auszusagen, der sehnlichste Wunsch junger Mädchen sei nicht etwa Gesundheit oder dergleichen, sondern „Prominenz“. Da gibt es auch ein Mädchen, die diesem Ziel so sehr nacheifert, dass sie an Magersucht stirbt und damit – schwarze Ironie der Geschichte – tatsächlich Berühmtheit erlangt.

Da gibt es die Wiener Polizei, deren Oberste sich über Intrigen und Vorwürfe geschickt gegenseitig ins Out befördern. Da wird am vorletzten Tag des Jahres gschwind noch ein Ex-Diktator aufgehängt und beweist damit indirekt, dass seine „Richter“ auch nicht um soviel gscheiter und besser sind als er.

Die erinnerungswürdigen Geschichten des Jahres 2006 sind unzählig, die meisten davon verleiten zum Kopfschütteln.

In einem der so zahlreichen Jahresrückblicke dieser Tage habe ich noch einmal (Ausschnitte aus) „Die Dreigroschenoper“ gesehen. Es war mir ein Vergnügen, Brechts Meisterwerk diesen Sommer in Kobersdorf auf der Bühne zu sehen. Auch dazu gäbe es einige schöne Geschichten zu erzählen, Faktum bleibt: Die Dreigroschenoper beinhaltet auch gut 60 Jahre nach ihrer Uraufführung und 50 Jahre nach Brechts Tod mehr Wahrheiten, als man dem modernen und jetztzeitigen Jahr 2006 zumuten würde. Korruption und Lügen, Drogen und Prostituion, eine gewaltig aufgehende Schere zwischen Arm und Reich, Schmiergeld und Betrügereien. Und das alles als Publikumshit zum Amüsement der breiten Masse. Ob sie die Signale aufnimmt und versteht oder es doch nur, wie ich es „befürchte“, auf eine abendliche „Unterhaltung“ reduziert? Besser als hier ist die Welt, wie sie (immer noch) ist, kaum auf den Punkt zu bringen. Möge 2007 eine kitschig-blühende Romanze werden und kein sozialkritisches Drama.

Und die einen sind im Dunkeln, und die andern sind im Licht,
und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.

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