Weil ich ein naiver Romantiker bin, finde ich Quoten prinzipiell problematisch. Ich kann die „Frauenquote“ nicht leiden und möchte sie weder im Parlament, noch auf Unis, noch im Haushalt, noch sonstwo haben. Ich kann mit „positiver Diskriminierung“ nichts anfangen. Und das aus Prinzip.
Warum? Weil ich einfach nicht verstehen will, dass es so etwas überhaupt braucht. Weil es selbstverständlich für mich ist, Weiberl und Manderl gleich zu behandeln. Weil rein beruflich Qualifikationen und soziale Kompetenzen zu zählen haben, kein öder Nepotismus und auch nicht die hormonelle Verfassung der Person. Weder in die eine, noch in die andere Richtung. Ich bin ein expliziter Fan der Gleichberechtigung, im Wortsinn.
Nun ist jüngst wieder die Diskussion um die sogenannte „Radioquote“ aufgeflammt, die – am besten gesetzlich bestimmt – den Anteil österreichischer Musik im österreichischen Radio heben soll. Nach Vorbildern wie dem französischen (40%!) zum Beispiel. Ich halte die Quote als solche für ein Armutszeichen und für Blödsinn, und damit stehe ich in diesen Tagen schon recht alleine da.
Unbestrittenes Faktum ist, dass in hiesigen Breiten in Österreich produzierte Musik einen unfassbar niedrigen Stellenwert hat. Selbst Fußball steht im Vergleich blendend da. Ö3, sich mit den „neuen Österreichern“ brüstend, plakatiert diese zwar, jagt sie aber kaum über den Äther: Der Anteil österreichischer Musik im Sender liegt jüngster Statistiken zufolge bei sagenhaften 5% (und die blödsinnigen Jingles sind da sendezeitmässig angeblich miteingerechnet)
Weil es sich um den marktdominierenden Sender handelt, ist das natürlich relevant. Denn Airplay generiert nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Geld. Es bringt Tantiemen über die AKM (für Autoren, Komponisten und Verleger), im weiteren Sinne in der Regel auch bessere Platzierungen im Handel (Libro kauft nach Ö3-Airplaylisten ein) und folglich in den Charts. Ebenso die Regel ist das „Nachziehen“ der Ö3-nacheifernden Privatradiomasse, die sich immer noch sehr stark an den Listen des Marktführers richtet. Von der medialen Folgewirkung, dem geänderten Medien- und Konsumentenverhalten ganz zu schweigen.
Wenig überraschend also: Ein zentraler Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg eines Tonträgers in Österreich ist Ö3. Und der Erfolg ist wiederum die Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer ganzen (und hierzulande leidenden) Industrie. Die Kritik am Sender macht man hauptsächlich an seiner Formatierung und Ausrichtung fest, weil Ö3 als Teil des ORF natürlich ebenso dem vielzitierten „gesetzlichen Kulturauftrag“ unterliegt, den gerade Ö3 nicht so wirklich beabsichtigt zu erfüllen.
Die richtige Forderung nach mehr österreichischer Musik im Radio ist also gut und staatlch gesehen sehr sinnvoll begründet. Warum aber dazu eine verpflichtende Quote einführen?
Was Ö3 anrichtet, wenn es „mehr Musik, mehr Abwechslung“ ankündigt, wissen wir. Ebenso, was mit den „neuen Österreichern“ (nicht) passiert ist. Mangels tatsächlicher Qualität konnten sich kaum welche davon wirklich durchsetzen. Gründe dafür sind vielschichtig und stehen auf einem anderen Blatt Papier, man sieht aber: Ö3 alleine macht das Kraut auch nicht fett und aus einem Aschenputtel noch lange keine Prinzessin.
Die Argumente des großen Senders „gegen“ österreichische Musik sind ja weder neu noch originell – und scheinen noch dazu eine Art „self fulfilling prophecy“ zu sein, wenn man das oben genannte Beispiel hernimmt. Im wesentlichen beantworten die Senderchefitäten ganz einfach die Huhn-Ei-Frage anders als die Branche. Sie lautet: Hört das Volk die Musik gerne, weil sie Ö3 spielt oder spielt Ö3 die Musik, weil sie das Volk gerne hört? Die Branche behauptet ersteres (Huhn), während Ö3 auf zweiteres beharrt (Ei) – hauptsächlich gestützt auf recht idiotische Hörerumfragen und -tests.
Derlei Argumentationen zu umschiffen, bringt wieder andere auf den Plan. Nimmt man Ö3 nämlich (und soweit reicht der „Plan“ der Quotisierung) tatsächlich seine Formatierung und hochkommerzielle Ausrichtung und schafft damit tatsächlich mehr Pluralismus in der österreichischen Radiolandschaft; verliert also Ö3 durch potentielle „kulturellere“ Ausrichtung letztlich deutlich an Quote, dann ist das möglicherweise ein Schuß ins eigene Knie.
Der ORF ist schließlich ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, Ö3 seine Cash Cow. Ein starker ORF ist der stärkste AKM-Zahler und damit indirekt „Förderer“ Nummer eins des heimischen Kulturguts. Geht also eine stärkere nationale Ausrichtung zu Kosten der Quote, verdient der ORF weniger Geld. Die Konsequenz wäre zwangsläufig auch ein deutliches Minus an Tantiemen (von denen dann halt mehr im Inland bleibt) – soweit, sogut. Doch im schlimmeren Falle bringt das auch wirtschaftliche Troubles für die große ORF-Mutter mit sich.
Die könnten bedeuten, dass die einzig tatsächlich kulturell wertvollen Sender der Kette, Ö1 und FM4, schleichend in ihrer Existenz bedroht wären. Denn Einsparungen treffen redaktionsintensive Sender (wie eben diese beiden) seit jeher am stärksten. Und was Ö1 und FM4 in Sachen Bildung und Kultur leisten, ist absolut nicht zu unterschätzen und kann durch ein auch noch so „kulturelles“ Ö3 wohl nicht ersetzt werden. Und will man das überhaupt? Die Quote könnte also paradoxerweise Ö1 und FM4 das Leben deutlich schwerer machen und im Wortsinne das Wasser abgraben – und so rasch ein Strukturproblem darstellen und selbst werden.
Ich wiederhole mich also: Wir brauchen keine Quantitätsdiskussion, die die Quote letztlich ist, sondern eine Qualitätsdiskussion. Und für die braucht man eher den gesunden Haus- und Sachverstand denn ein Gesetz. Warum Menschen mit soundsoviel Prozent österreichischer Musik zwangszubeglücken, die eh nicht goutiert wird und eh keiner hören will, wie die Radiomacher (gern auch die Privaten) behaupten?
Ich behaupte: Es geht im weiteren Sinne um ein völlig neues Selbstbewusstsein und ein Selbstverständnis im Verhältnis zur österreichischen Musik. Und das kann eine Quote nicht (oder nicht im Alleingang) bringen. Es braucht ein Umdenken, ein „Klick“ im Hirn der Sendungsmacher anstelle eines „%“.
FM4 hat das im „alternativen“ Segment vorgemacht, spielt seit 13 Jahren selbstverständlich und ganz ohne Quote, gleichberechtigt neben anderer auch österreichische Musik, hat den Stellenwert der Ö-Musik in seiner Zielgruppe bedeutend erhöht und als Folgeerscheinung erlebt, wie die Dichte und Menge hiesiger Produktionen in den Himmel schoß. Der Markt an Kleinlabels, kreativen Künstlergruppen und -netzwerken, Initiativen, Booking-Agenturen, Festivals mit Österreich-Schwerpunkt und so weiter wächst und gedeiht.
Das „hausgemachte“ Problem von FM4 ist der künstliche ORF-interne Graben zum großen Bruder Ö3 hin: Das Problem, dass nur wenige der auf der einen Seite „erfolgreichen“ Acts im „Mainstream“ landen und eine wirtschaftliche Existenz für sich und ihre Autoren, Komponisten, Labels, Booker, Manager aufbauen können, liegt hier begraben. Ö3 wiederum hat es nicht geschafft, den Qualitätsanspruch der Funkhaus-Crew auch nur ansatzweise auf „Mainstream“ zu übersetzen. Das liegt natürlich auch an den „großen“ Plattenfirmen, die keine entsprechenden, interessanten Produkte liefern, sondern sich hinter Massenware aus dem Alpen-Musik-McDonalds vergraben.
Originalität und Qualität findet man eher in kleinen Zellen, die aber rasch das große Strukturproblem schonungslos aufdecken: Es gibt keinen Markt (das erwähnte wirtschaftliche Problem), also gibt es keine Struktur; es fehlt an allen Ecken und Enden: Es fehlen vernünftigen Ausbildungsmechanismen für Musikmanagement, -produktion und -vermarktung, es fehlt Kapital und es fehlt – natürlich – der Mut der Sendungsmacher, dieses Rad in Bewegung zu setzen – und sie säßen zweifelsohne am Pedal. Also: Mehr Musik aus Österreich im Radio? Ja, bitte! Aber bitte unbedingt mit Mut, Herz und Verstand.
Wenn Peter Paul Skrepek mit einer Pro-Quoten-Initiative namens „SOS Musikland“ völlig zurecht darauf hinweist, dass es wichtig wäre, den kulturschaffenden Charakter dieses Landes weiterzutragen und neu zu entwickeln, dann übersieht er in der damit verbundenen Forderung nach der Quote eben genau den Punkt: Dass die Quantität nicht gleichzusetzen mit der Qualität ist. 50 neue Österreicher statt fünf machen das Programm nicht besser und stellen nicht gleich den Ruf des Musiklandes Österreich wieder her. Wahr und klar ist aber, dass ein wirtschaftlicher Impuls zur potentiellen Grenzüberschreitung für Künstler, Labels, Verlage her muss.
Fazit: Die Quote wäre im besten Falle ein Symbol, das Hoffnung verbreitet. Dass Symbole alleine diese Hoffnung aber nicht zu erfüllen vermögen, weiß keiner besser als ein naiver Romantiker.