Leyya-HalfAsleep Album Cover

Leyya sind wieder da.

Ein Satz, der in seine Bewegung blinzelt. Mit ihrem neuen Album Half Asleep zeigt die Indie-Pop Band bestehend aus Sophie Lindinger und Marco Kleebauer eine neue Art der Ehrlichkeit und Offenheit, die zwischen digital und analog in Halbzuständen zirkuliert. Mit Half Asleep teilt die Band, wie heilsam es sein kann, wieder bei sich selbst anzukommen.

Alles auf Anfang, oder zumindest ein Re-Turn: Was 2010 im oberösterreichischen Eferding als kleiner Kieselstein zwischen Schuhsolen auf dem Asphalt einer Garage kullert, entwickelt sich schnell zum Selbstläufer. Eigentlich singt und textet Sophie so für sich, eigentlich experimentiert Marco nur ein wenig mit Sound. „Das erste Mal, als wir uns getroffen haben, haben wir zusammen Musik gemacht“, Marco. „Ich seh’ noch immer das rote Drumset und den Keller deiner Eltern vor mir“, Sophie. In den darauffolgenden Jahren entsteht ein Duo-Projekt in Form von Austausch und Prozess und damit, was in den 2010er Jahren im österreichischen Musikraum noch (oder wieder) mehr oder weniger Neuland ist: Elektropop. Zarte, melodische Vocals kollidieren mit harten Elektro-Beats, Konzept und Chaos verschwimmen, vermeintliche Gegensätze harmonieren. Mit Superego (2015) überzeugen Leyya schließlich bald ein internationales Publikum; der kleine Kiesel kommt ins Rollen, Synthie-Sounds, Samples und eine breite Diversität an (elektronischen) Drumsets kratzen zeitweise an den Rändern von Dance-Music und Eurobeat.

Es folgen erste Konzerte, die Single Butter (2016) teasert neue musikalische Einschläge an, alles geht ganz schnell: Auf das Debütalbum Spanish Disco (2016) folgt Sauna (2018), zwei Amadeus Music Awards (2017 & 2018) und der UK Music Video Award (2018). Und zwischendrin fanden sich Leyya als erste österreichische Band unter den Top 10 der meistgebuchten Newcomer:innen der jährlich veröffentlichten Liste des European Talent Exchange Programmes ETEP wieder. Das Duo tourt, spielt kleine bis hin zu den ganz großen Festivals und wird von Kritiker:innen hochgelobt. Save to say: Leyya made it, internationaler Erfolg: Check.

Marco und Sophie treiben musikalisch in diverse Richtungen aus. Sophie gründet die Rockband My Ugly Clementine, mit der sie unter anderem als erste österreichische Band den IMPALA Award 2020 gewonnen sowie mit mehreren Amadeus Austrian Music Awards ausgezeichnet wurde. 2023 veröffentlicht Sophie ihr selbstproduziertes Solo-Debüt. Auch Marco verfolgt parallel Projekte, produziert unter anderem für Bilderbuch oder Faber und ist Teil der Band Sharktank, deren Genre-Crossover so manche Grenzen auslotet und damit internationale Erfolge erzielt. Marco produziert auch Solo und setzt sich mit den Erlösen seiner Drum-Samples für gute Zwecke ein (z.B. Musiker ohne Grenzen).

2021 veröffentlichen Leyya ihre EP Longest Day of my Life und thematisieren darin Depression, Schwermut und mentale Überforderung, gefolgt von der Doppelsingle Someone / Fix it (2022) inklusive der Ankündigung, die Band würde vorerst keine Konzerte mehr spielen. Was im ersten Moment womöglich einen negativen Grundton suggeriert, ist bei genauerer Betrachtung allerdings das genaue Gegenteil: „Wir sind endlich wieder bei uns selbst angekommen und es fühlt sich richtig an“, so das Duo und produziert als Auszeichnung der Aussage innerhalb einer Woche beinahe ein ganzes Album. Leyya sind wieder da. Aber was bedeutet das?

Die Selbstreflexion als Konsequenz innerer Unruhe prägt Half Asleep; der Prozess einer Erkenntnis und des Sich-Bewusst-Werdens der eigenen Position im Innen und Außen zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Mit Titeln wie I Don’t Hug So Well, Ease My Mind, Sometimes You’re Lonely oder Tired muss auch nicht mehr allzu viel erklärt werden. Der namensgebende Song Half Asleep spricht in Bewegungen. Sophies analytischer Blick richtet sich auf Vergangenheit und Zukunft, sucht in Halbzuständen taumelnd nach einer Verortung. Das Gefühl, das halbe Leben verpasst zu haben, dauernd weder wach noch schlafend zu sein, durch die Wochen zu hustlen, ohne dabei etwas zu spüren, ist gegenwärtige Realität. Half Asleep dagegen ist Bremse, Innehalten und Reflexion, eine Besinnung an die Gegenwart. Die weichen Vocals werden von einem DnB Element umspielt, ein von Marco eingespielter und beschleunigter Drumloop. Dieser knüpft an Melancholie und Rückbesinnung musikalisch an und setzt den instrumental-experimentellen Ton der Album-Ästhetik; die Verzerrung von digital und analog als Zwischenraum.

„Hey, what’s going on?“, eine Frage, die sich oft nicht so einfach beantworten lässt eröffnet I Don’t Hug So Well und fragt weiter nach den Regeln zwischenmenschlicher Beziehungen, speziell jenen in Freund:innenschaften. Umarmen wir uns, oder geben wir uns die Hände? Was ist das Framework?

Ganz anders startet Sometimes Your’re Lonely – mit Marcos Stimme – und stellt ungewohnt ein Vocal-Sample an den Anfang. Inhaltlich zieht sich der Bogen weiter und bleibt verletzlich ehrlich. Was bedeutet es, die eigenen Emotionen zu dismissen, warum gaslighten wir uns manchmal selbst und geben unseren Gefühlen nicht den Raum, den sie eigentlich brauchen?

Pumped Up High ist dazu fast ein Gegenpol und beschreibt die Ambivalenz, die sich nicht unbedingt widersprechen muss, allein, aber unter Leuten sein zu wollen. Das manchmal nicht greifbare Gefühl übersetzt sich in undefinierbaren Sound, ein digitales Artefakt aus Marcos Archiv, das genau die richtige Dosis an Melancholie mit sich bringt.

Melancholisch bleibt es auch in Ease My Mind, ist der Song tatsächlich schon 2019 entstanden und hat einiges an repetitiven, dancy Momenten, inspiriert von etwa Steve Reif’s asynchronem Piano. Der treibende Beat erinnert an Chaos im Kopf, ein klares, rhythmisches Sound-Muster verschiebt sich, wird vielschichtig und findet wieder zusammen, wie auch Sophies analytischer Blick, wie die Ambivalenzen, wie alles, das in Bewegung ist, irgendwann wieder zu Ruhe kommt.

Half Asleep fragt nach Zuständen und konkret: „Will ich das eigentlich?“, setzt damit den eigenen Körper in Beziehung zu anderen (Körpern, Realitäten, Regeln). Leyyas drittes Album ist ego-los, voller Kompromisslosigkeit, the best of both worlds (Spanish Disco / Sauna). Analoge stoßen auf digitale Sounds, instrumentale Grenzen werden blurry und irgendwo zwischen crappy Phone-Sounds und einer Fast-Forward-Production pendeln sie sich zustandslos ein. Dabei ist jeder Sound liebevoll handgemacht, klingt beinahe harmonisch organisch, entgegen der schnelllebigen Umstände und gängigen Produktionsweisen. Ambivalenzen sind typisch Leyya und in Half Asleep zwischen Musik und Lyrics deutlich spürbar. Die Rückwärtsbewegung ist also keinesfalls ein Rückschritt, vielmehr ein Schritt zur Seite. Nach dem Druck des Live-Spielens, der eigenen Erwartung Songs speziell für die Bühne zu produzieren und dem Gefühl, fremddefinierten Standards gerecht werden zu müssen, findet die Band nun wieder musikalisch nach Hause: Ins Melancholische, Mysteriöse, Intime.

Leyya situieren sich in Selbstbestimmung und setzen klare Grenzen, definieren ab sofort also eigenverantwortlich wo und unter welchen Bedingungen sie Live-Shows spielen wollen. Dabei passen folglich nicht mehr sie sich den Gegebenheiten (musikalisch) an; sie wählen bewusst das passende Setting für sich und ihre künstlerische Arbeit.

Leyya veröffentlichen ihr drittes Album »Half Asleep« am 30.08.2024. Es erscheint auf Doppel-Vinyl und allen digitalen Plattformen.

 

Leyya live – Half Asleep Tour:

18.09.24 » Reeperbahnfestival » Hamburg (DE)
19.09.24 » Hole44 » Berlin (DE)
21.09.24 » WUK » Wien (AT)
25.09.24 » Posthof » Linz (AT)
26.09.24 » ppc » Graz (AT)
27.09.24 » Treibhaus » Innsbruck (AT)
29.09.24 » München » Ampere (DE)

 

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