„99 % der Männer können Sex haben ohne zu lieben“, diesen Schwachsinnmusste ich mir heute in der Mittagspause anhören. Dabei wollt ich dochnur essen, lesen, Musik hören (in dieser Reihenfolge). Aber weil dieBatterien meines Discmans wieder mal leer waren, musste ich quasimitreden, bei der Mittagspausendiskussion über Männer und wie scheißesie doch sind.
Irgendwann, als es wirklich schonzuviel wurde, habe ich angemerkt, dass man das ja nicht einfach soumlegen kann. Dass man nicht aus zwei (die Diskussionführung teiltesich unter zwei Frauen auf) persönlichen Erlebnissen auf eine ganzeGruppe (immerhin fast die halbe Menschheit) schließen kann, sondern,dass es wichtig ist, einen Überblick zu haben.
Da dieseAnmerkung mit tausenden „Abers“ erwidert wurde („Aber ich kenns nichtanders“) klinkte ich mich mit dem Satz „Dann kennst du eben diefalschen Männer und solltest etwas in deinem Leben ändern“, aus derDiskussion aus. Zwar wurde noch hinterher geredet aber darauf ging ichnicht weiter ein. Denn die Zeit drängte und es war noch kein Kaffeegetrunken und keine Zigarette geraucht worden. Außerdem weiß man ja, wosolche Diskussionen hinführen. Die kollegiale Freundschaft friert fürmindestens zwei Wochen komplett ein. Und das wäreschade.
Bei der anschließenden Analyse mit einemDritten, der zugehört aber nicht mitgeredet hatte, fiel von seinerSeite das Wort „Kleinbürgertum“. Ich bin mir nicht hundert Prozentsicher, ob in diesem Zusammenhang (als Beispiel das oberflächlichedaherreden unter Kollegen in der Mittagspause), dieses Wort passt aberwir einigten uns dann auf „Kleinbürgertum“ als Codewort fürFolgendes:
1. Egozentrik. Wenn man beachtet wird undeine halbwegs positive Rückmeldung bekommt passts. Wenn der andere amWort ist, schenkt man ihm die Aufmerksamkeit die nötig ist, um sich derAufmerksamkeit sicher zu sein, die man bekommen will, wenn man wiederselbst am Wort ist, nicht mehr.
2. Desorientierung.Man weiß nicht wo man steht, man weiß nicht wer man ist, man weiß nichtwohin man will, man weiß nicht wo, wer der Andere ist und wohin erwill. Allein, dass man in Bezug auf sich selbst desorientiert ist, darfman nicht zugeben und dass man in Bezug auf den Anderen desorientiertist, ist uninteressant (siehe Egozentrik).
3.Desinteresse. Man ist solange desinteressiert bis ein Thema auftaucht,bei dem man mitreden kann und bei dem man gut weg kommt, d.h. man kannbald wieder eine positive Aufmerksamkeit auf sich ziehen oder bis einThema kommt, welches zwar negativ besetzt ist, von dem man sich aberabgrenzen kann („Würd ich nie machen!“, „So bin ich nicht!“). Ergebnis:Positive Aufmerksamkeit. (Aussagen wie „Weiß ich nicht“, „Kenn ich michzu wenig aus“ oder selbst „Interessiert mich nicht“ gibt esnicht.)
4. Halbwissen. Um die schon oft erwähnte“positive Aufmerksamkeit“ zu bekommen, redet man selbst bei Themen mit,in die man nur sehr wenig Einblick hat.
5. Angst.Angst vor jedem, der sich nicht so verhält wie man selbst bzw.widerspricht bzw. nicht mitredet, also ganz einfach andersist.
Und diese fünf Punkte vereinen leider vielzuviele Zeitgenossen, selbst solche von denen man es nicht gleicherwarten würde, in sich. Denn die Aussage „99 % der Männer können Sexhaben ohne zu lieben“, steht, in Verbindung mit der Person, die man jaein wenig kennt und auch die Situation in der sie sich befindet, fürfolgende Assoziationskette:
Ich bin, aus welchenGründen auch immer, unzufrieden mit meinem Mann. Ich war noch niezufrieden mit einem Mann. Ich bin kein Mann. Ich kenne keinen Mann, mitdem ich mir vorstellen könnte zufrieden zu sein. Ich bin anders. Männerkönnen mich nicht zufriedenstellen. Männer sind anders als ich. Ichkenne keine Frau in meinem Umfeld, die zufrieden mit ihrem Mann ist.Frauen sind anders. Männer können keine Frau zufriedenstellen. Männersind schlechter als Frauen. Männer sind schlecht.
Und diese Denkweise findet man leider viel zuhäufig. Und es kommt noch ein weiteres Problem hinzu: In der Welt des“Kleinbürgertums“ funktioniert diese denkweise. Man wendet sie Tag fürTag an und man kommt immer zu einem Ergebnis. „Männer sind schlecht.““Die Welt ist schlecht.“ „Die Polititk ist schlecht.“ „Alles, das ichmir nicht erklären kann und das mir anscheinend schadet, istschlecht“.
Und mit Verlaub: Diese Denkweise kotztmich an. Ich will jetzt nicht Sprüche klopfen wie „Schicksal selbst indie Hand nehmen“ usw. Das Leben kann hart sein, das Leben kann unfairund ein einziger Kampf sein. Aber das weiß man. Die Frage ist nur: Istman sich der Denkweise des „Kleinbürgertums“ (denn schließlich tragenwir alle diese mit uns herum) bewusst oder nicht? Wenn man sich ihrbewusst ist: Will man sie ändern oder ergibt man sich? Und diewichtigste Frage: Wenn man sie ändern will, wie soll man dann denken?Und somit kommen wir zum Problem, an dem alle Menschen, die um eineEcke denken können, stehen. Wonach soll man sich heuterichten?
Womit wir bei der (neuen) Spex wären. Denndie Redaktion eben dieser Pop-Gazette wurde komplett ausgetauscht. DieSpex zog nämlich um. Von Köln nach Berlin. Nur, die kölner Redaktionzog nicht mit. Also: Ganz neue berliner Redaktion.
Jetzt muss aber angemerkt sein, dass ich niewirklich reingefunden habe in die „alte“ Spex. Sie war zwar immer da,jedoch wurde sie nur sehr selten gekauft und so gut ich mich erinnernkann, niemals zweimal hintereinander (ähnlich wie Musikexpress undVisions), denn meist gefiel mir das, was da drin stand, ganz einfachnicht bzw. habe ich, ehrlich gesagt, die Hälfte nicht verstanden.Irgendwann bin ich dann umgestiegen auf das Internet. Komplett.Plattentests.de, Pitchforkmedia.com und fm4.orf.at reichen eigentlichauch aus, dacht ich mir und eigentlich dachte ich auch, dass ich damitganz gut fahre. Einzig das/der/die Gap bzw. jetzt das TBA nahm/nehmeich noch tatsächlich in die Hand (Gap hat sich ja jetzt leider aucherledigt).
Der Grund dafür war, dass mir fast alles, was indiesen Print-Medien war, zu bezuglos erschien. Im Internet hat man zwarnichts in der Hand aber dafür gleich etwas im Ohr. Auf den nächstenLink geklickt und schon konnte man sich das Ganze auch anhören. EinenBezug herstellen, zum eben gelesenen.
Und im Bezugherstellen zur Musik, die dann da tatsächlich aus den Boxen kommt, wardie alte Spex (in meiner beschränkten Auffassung) ganz schlecht. Einehohe Sprache ist fein. Ich scheue mich auch nicht davor, ein Wörterbuchzur Hand nehmen zu müssen aber wenn man dies bei jeder zweitenAlbumrezension machen muss, um auch nur einen leichten Hauch von Ahnungzu bekommen, WIE sich das Ganze denn anhören könnte, dann ist dasmühsam.
Wobei wir jetzt beim eigentlichen Themawären. Wie schreibt man über Pop? Vergleicht man (aus Gründen derObjektivität), dann setzt man voraus, dass der Leser genauso ein Neirdist, wie man selbst. Schreibt man aus einer subjektiven Sicht, läuftman Gefahr, ins Geschmäcklerische abzurutschen. Zieht man denSchaffungsprozess bzw. die Hintergründe zu sehr mitein, kann espassieren, dass man das Endprodukt, die eigentliche Musik, aus denAugen verliert. Was soll man also machen? Zurück zum „Kleinbürgertum“oder eine Mischung aus allen drei Möglichkeiten?
Unddie „neue“ Spex geht da einen, mir, für den Anfang, sehr sympathischen,Weg. Zwar ist das Editorial mehr eine Abrechnung mit den alten Kollegenals eine Neupositierung aber trotzdem kommt durch, dass man als“Meinungsmacher“ respektive Redakteur auch nur ein Mensch ist. UndMensch blickt sich bei dem Überangebot und dem Informationscrash derheute in der Popwelt herscht (allein mit „My Space-Künstlern“ könnteman ganze Magazine füllen) ganz einfach nicht mehr durch. Man muss,will man nichts verpassen, zum Chronisten werden und ein Chroniststellt keine Zusammenhänge her, d.h. bewertet und interpretiert nicht,sondern ist nur damit beschäftigt aufzulisten.
UndListen braucht man als einfacher Konsument nun wirklich nicht mehr. Undsomit scheint die „neue“ Spex (es gibt erst eine Ausgabe, das ist alsoeher eine Vermutung) einen Mittelweg zu gehen. Man weiß, dass es so wiefrüher nicht mehr geht, man weiß aber nicht, wie es weitergehen könnte.
Die alte Frage von vorhin: Wonach richten?
Und weilman im Moment keine zufriedenstellende Antwort finden kann, gibt mandas Ganze einfach zu. Man gibt einfach einmal zu, dass man selbst nichtmehr so genau weiß,wo´s lang geht, dass man schwimmt aber trotzdemweitermacht. Und das ist ein entscheidender Bruch mit den „Alten“. Denndieses Gefühl hatte ich immer, wenn ich früher die Spex aufschlug. Die(glauben zu) wissen wo und wer sie sind und wo sie hin wollen bzw.bleiben wollen. Warum das ganze jetzt implodiert ist weiß ich nicht,dazu kenne ich mich zu wenig aus. Auf jeden Fall ist es passiert undjetzt haben wir die „neue“ Spex „am Hals“ und mal schauen wo sich diesehin entwickelt.
Rein inhaltlich finde ich die Aufteilung sehrgut gelungen. Es gibt keine „News“ im eigentlichen Sinne. Es gibt „nur“kurze Artikel über neue Künstler die eine Erwähnung wert sind (wiegesagt ohne Anspruch auf Ganzheit bzw. darauf hier die Essenz des Neuenzu präsentieren). Dann kommt ein ausführlicher Teil mit größtenteilssehr gut geschriebenen Beiträgen über zB. den Berliner Rap-Untergrundoder die (Musik)szene in Houston. Außerdem ein Interview mit MartinKippenberger und ein hervorragend beobachteter Beitrag über Bob Dylan.
Beim Aufmacher macht man dann doch einen Kompromiss undverlässt sich auf die Herren von Maximo Park.
DerResenzions-Teil ist schmäler als ich gedacht habe aber dadurch sehrsympathisch und glücklicherweise ohne Bewertungen (wie gesagt: keineListen mehr!).
Aber trotz der guten Inhalte schwingtbei mir, beim lesen, ein Gefühl mit. Das Gefühl, dass das Alles nichtdarauf abzielt das Wichtigste und Aktuellste zu sein. Denn das gehtnicht .Weil man sich ja eingesteht, nicht wirklich zu wissen, was dasWichtigste unter den aktuellen Sachen ist.
Und genauda, kann ich mich ganz persönlich und auf mein eigenes privates Lebenbezogen mit den „Neuen“ identifizieren. Wir wissen nicht, wo wir sind,wir wissen nicht, wo wir hin wollen aber eines können wir verpsrechen:Wir werden Augen und Ohren offen halten.