Irgendwann hat das wohl jeder. Meistens braucht es einen Anlaß – der kann spektakulär sein, traurig oder nostalgiefördernd. Streit ist auch so ein Favorit für die Auslöserposition. Manchmal kommt es aber auch in einer Phase seltener Ruhe oder des gewissenhaften Nachdenkens über dein Leben bisher und wie es so in den nächsten zwei, zwanzig oder fünfzig Jahren aussehen könnte. Irgendwann fragst du dich: Was wäre eigentlich gewesen, wenn?

Früher hast du vielleicht den Geschichtsunterricht gebraucht, um selber drüber nachzudenken, was wäre eigentlich gewesen, wäre Hitler an der Akademie der Künste aufgenommen worden, wenn die Türkenbelagerung für die Angreifer erfolgreicher verlaufen wäre oder wenn sich der Pilot des ersten Atombombenfliegers entschieden hätte, das Ding einfach nicht abzuwerfen. Was wäre gewesen, wenn sich deine Eltern nie getroffen hätten oder wenn deine erste große Jugendliebe im entscheidenden Moment dein Herz innig gehalten anstatt gebrochen hätte?

Es gibt Milliarden solcher Fragen und es gibt genug Literatur und Filmmaterial zum Thema, also beschäftigt das den Menschen an sich nachhaltig – soviel ist klar. Antworten, allerdings, gibt es auf die Frage(n) eigentlich nie. Und das macht wohl ihren Zauber aus. So kindisch, blöd oder eigenartig man das selber aber manchmal findet, man ertappt sich dann doch irgendwann dabei – oder wird mehr oder minder sanft durch die magischen äußeren Umstände darauf hingestupst.

Du findest Momente und Ereignisse in deinem Leben, die den weiteren Lebenslauf zutiefst geprägt haben. Du grabst Erinnerungen aus, ohne die das, was, wer oder wo du heute bist, gar nicht existieren würden. Du entdeckst Bezugspunkte und Verbindungen, wo du feststellst: Beim Zufall als Regisseur deines Lebens kann ein Quentin Tarantino, ein Stanley Kubrick und ein Martin Scorsese mit Verlaub sch… gehn.

Aber was lernst du daraus? Meine These: Schicksal als solches gibt es nicht. Es gibt Zufälle und es gibt Entscheidungen, die man als „Schicksal“ deuten kann – und zugegeben, mitunter häufen sie sich dermaßen, dass es selbst den überzeugtesten Rationalisten überwältigt und zweifeln lässt. Da kommt dann just in DEM Zeitpunkt, in dem man DEN Gedanken hat genau DAS Lied im Radio, dass wie die Faust aufs Auge passt. Außerdem beginnt es wahlweise zu regnen oder die Sonne zu scheinen, und rundrum kann man sich sechs bis vierunddreissig gleichzeitige Vorkommnisse unterbewusst so zurecht zimmern, dass sie gerade punktgenau dazu passen.
Möglicherweise alles Humbug, aber zwischendurch dann doch irgendwie seltsam. Wirklich alles Zufall? Wie die schwarze Katze, die einem über den Weg läuft, und wo´s einen kurz innerlich reisst, obwohl man doch felsenfest von der Tatsache überzeugt ist, nicht abergläubisch zu sein.

Letztendlich sind es aber – um „wissenschaftlich“ im Terminus zu bleiben – doch nur Ursache und Wirkung. Aber das ist zu banal, zu einfach, zu unromantisch. Vielleicht ist aber gerade das ein Anlass, um bewusster durch den Alltag zu gehen, deine Entscheidungen bewusster zu treffen. Vielleicht nicht einmal intensiver durchdacht oder TÜV-geprüft, aber BEWUSST. Denn im Prinzip lohnt es sich ja doch nicht in 14 Jahren die Frage zu stellen: Was wäre eigentlich gewesen, wenn. Du wirst die Zeit nicht zurückdrehen können, die Entscheidung nicht anders treffen können und damit schon gar nicht… die Frage beantworten.

Du stellst dann fest: Zu seinen Entscheidungen zu stehen, auch wenn sie möglicherweise falsch sind oder waren, ist oft schmerzhafter, aber am Ende weitaus mutiger, tapferer und besser, als sich in Illusionen und Ideen zur „Vergangenheitsbewältigung in der Gegenwart“ zu verlieren.

Post Scriptum:
Eine Freundin schreibt mir als Reaktion was absolut hinzufügenswertes: „Zu seinen Entscheidungen zu stehen und sie zu akzeptieren, was häufig wirklich sehr schmerzhaft ist, IST für mich Vergangenheitsbewältigung. Und nur so kann man bewußt die Gegenwart und die Zukunft gestalten. Nur so kann man aus Fehlern lernen oder Richtiges wieder so machen. Das sind die Wurzeln, die es ermöglichen, dass man irgendwann vielleicht doch noch seine Flügel bekommt.“

Jepp!

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