Es war ein ausgesprochen buntes Jahr mit vielen Ups und Downs, wie das halt so ist im Laufe von 365 Tagen. Musikalisch haben sich die Prophezeiungen von 2006 allemal erfüllt. Der Hype-Hype flaut allmählich ab, die Deutschpop-Blase ist geplatzt, aber das deswegen gleich alles besser und erträglicher wäre, geht sich natürlich auch nicht aus, weil der neueste Trend schon wieder voll da ist.

Anno 2007 nennt sich der unbestritten „Emo“. So sehr mir persönlich die ganze Chose unter diesem Banner am Allerwertesten vorbeigeht, so wenig ist sie wegzuleugnen, schließlich leben wir in einer trendbestimmten Welt. Freilich sind die Zeiten kurzlebig, und „Emo“ hat, kaum wirklich „oben“, seinen Zenith auch schon erreicht oder gar überschritten, sprich: haben wir bald wieder hinter uns.

Das erwähnte Phänomen, was es bewirkt, wie es rezipiert wird und wie damit in der „Masse“ der Jugendlichen umgegangen wird erinnert mich frappant an das Ausschlachten der „Grunge“-Welle vor gut 15 Jahren. An ihrem Höhepunkt, so rund um 1992-1994, hatte man gefälligst Holzfällerhemden zu tragen. Als „Generation X“-Kids hatte man nicht an die Zukunft zu glauben, sondern alles für schlecht und traurig zu befinden. Als sich Kurt Cobain sich ins, ähm…, Nirwana beförderte, gab es dann kein Halten mehr, die „Szene“ hatte ihren Helden, ihren Quasi-Märtyrer. (Pop-)Kulturell ist dabei letztlich ein klein wenig davon übrig geblieben, aber wie auch jetzt ist die Sicht der Dinge eine etwas verklärte, überzeichnete – nicht zuletzt ob der Massenrezeption zwischen Xpress und Kronen Zeitung, die da stattfindet.

Seit auch des Kanzlers Tochter sich für einen „Emo“ hält, schwarzen Kajal benutzt und von vornherein einmal traurig ist, ist das Thema selbst am Boulevard nicht mehr verpönt und „News“ bemüht sich, unsere „verkommene Jugend“ zu verstehen. Und wenn der Schmalztopf sich über das Thema ergießt und der daraufhin als Plain White T´s in die Hitparaden nach oben kraxelt… ja mei. Wie gesagt: Hatten wir doch alles schon mal. Die Geschichte wird darüber richten, wer in zehn Jahren noch von den Epigonen der diversen Chemical Romances oder Billy Talents „übrig“ ist.

Zu Wesentlicherem. Es gab trotz allem ja dann doch auch heuer wieder ein paar herausragende musikalische Momente. Besonders stark in Erinnerung bleiben wird mir persönlich das Arcade Fire-Konzert im Gasometer – mein erster „Gottesdienst“ mit/bei den Kanadiern. Kraft, Emotion, Glaubwürdigkeit, Botschaft – eingehüllt in recht viel Pathos, aber ganz und gar nicht peinlich. Unfassbar gut! Dass „Neon Bible“ ein großartiges Album ist, aber mangels Überraschungseffekt nicht ganz an den Vorgänger „Funeral“ heranreicht, hat sich mittlerweile ja schon fast als Common Sense etabliert. Aber bitteschön: Wenn noch fünf Alben dieser Qualität nachkommen, bin ich auch nicht böse.

Ebendort auch, im ausverkauften Gasometer, nur schon im Frühjahr, ein einigermaßen starkes Bloc Party-Konzert. Eigentlich ja auch so eine Band, die ein wenig vom Hype bei den Kiddies profitierte. Wieviel wohl davon „die Botschaft“ verstehen? Jedenfalls haben die Engländer zuwege gebracht, das „schwierige“ zweite Album bravourös rüberzubringen, und mit „The Prayer“ eine Zeitgeist-Hymne zu schaffen, wie sie prototypischer nicht sein könnte für dieses Jahr. „Lord give me grace and dancing feet, and power to impress.“ Und die Kiddies tanzen…! Weil der bombastische Start des Songs mit Drum´n´Bass-Anleihen, das seltsam-faszinierende Video und das sehr überzeugende Charisma von Kele Okereke da auch bei mir die Wirkung nicht verfehlt hat: eine meiner persönlichen Singles des Jahres.

Wie überhaupt diese Single so ein wenig auch die Speerspitze eines weiteren Trends war: Electrorock. Von mir aus auch Nu Rave oder wie auch immer man es nennt. Jedenfalls ist es plötzlich nicht mehr verpönt, die einst so massiv abgegrenzten Welten des „Indie“ mit jenen des elektronischen, tanzbaren, minimalistischen, technoiden der Clubs zu vermengen. Die Eheschließer, Brückenbauer und Trendsetter waren in dieser Wiedergeburt des Beats Bands wie Datarock („Fa, Fa, Fa!“ – noch so ein Kracher!), Simian Mobile Disco („It´s The Beat“, wie es so schön heisst…) Justice („D.A.N.C.E.“ mit sehr witzig-originellem Video) oder Hot Chip, Digitalism oder – gitarriger – etwa die Klaxons. Lustig dabei auch, dass die Großväter dieser Musikfamilie, die Chemical Brothers, die Zeiten übertaucht haben und zehn Jahre nach der ersten großen Zeit des „Big Beat“ immer noch da sind (sehr witzig: „Salmon Dance“).

Das deutet auch sachte darauf hin, dass wir, wenn wir zyklusmäßig rekapitulieren, jetzt schon wieder Anfang der 90er Jahre sind (vgl. Emo – Grunge oben): Das minimale, technoide, ravige in der Musik kommt wieder, ohne viel Schnickschnack. Dafür ist die Mode gerade in ihren letzten Zügen des Kitsches, packt nochmal alle seltsamen Frisuren, schrillen Farben und wüsten Kombinationen aus – nur um sich dann in spätestens ein, zwei Jahren wieder zurückzuziehen und das Wesentliche, das Minimale zu konzentrieren. Kommt wie das Amen im Gebet und die Tomatensauce auf die Pizza.

Apropos Kulinarik, da fällt mir „Skandalnudel“ ein. Während Herr Doherty zur Abwechslung mal auch mit akzeptabler Musik und von den Jessica Fletchers gestohlenem Riff punktet, macht ihm seine Bekannte Amy Winehouse den Rang on top of this list ziemlich streitig. Wobei „Rehab“ schon ein dermaßen autobiographischer Titel ist, dass es einem fast übel werden müsste. Schönes Stück Musik, trotzdem, sehr feine Mischung aus tiefem, altem Soul und modernen Beats. I like it.

Von den Strohfeuern des Trenduniversums zu Bleibendem – und damit zurück nach Kanada: Als Gesamtwunder manifestiert hat sich gnä´ Frau Feist. „The Reminder“ geht astrein als das Album des Jahres durch, weil es songwriterisch auch beim dreihundertsiebenundvierzigsten Hören nicht langweilig wird, weil es musikalisch und emotional seine Wirkung auch beim tausendsten Mal nicht verfehlt, weil das dazugehörige Live-Erlebnis (bei der FM4-Session im Odeon Theater) länger nachhallt als das Echo im Grand Canyon, und nicht zuletzt weil bei all der Gesamtwirkung mit „1234“ einer der besten Popsongs des Jahres drauf ist. Besser kann man sich in Zeiten wie diesen nicht auf und zwischen die Stühle „Pop“ und „Kunst“ stellen, meine ich.

Ebenfalls fast in diese Preisklasse einordnen würde ich da bloß noch Spoons „Ga Ga Ga Ga“ – eine großartige Band, bei der ebenfalls die Musiker im Vordergrund stehen, nicht die Marketingkampagnen. So lob ich mir das. Sehr erfrischend waren auch die neue Platten von Architecture in Helsinki und Beirut, seitens Interpol das Einzementieren ihres eigenen Heldenstatus als eine der langfristig wohl prägendsten und wichtigsten Bands der Gegenwart – und das mit einem vergleichsweise „durchschnittlichen“ Album. Modest Mouse haben bewiesen, dass eine Hymne Marke „Float On“ (bei aller Großartigkeit der Band an sich) keine Eintagsfliege sein muss, wenn man Johnny Marr in der Mannschaft hat: „Dashboard“ war der Beweis. Amerikanischer Natur groß aufgefallen sind mir positiver Weise auch die Cold War Kids„Hang Me Up To Dry“ ist eine der 07´er-Oden an das Unglück. Groß! Dann gab es viele unentdeckte Kleinigkeiten wie meinen diesjährigen Kitsch-Favourite: „No More Running Away“ von Air Traffic. Geht auf wie ein Pizzateig – große Klasse… und zu Unrecht etwas untergegangen.

Österreichbezogen war das Jahr ein bemerkenswert starkes. Eine neue Generation zieht auf und wird das Musikgeschehen hierzulande noch stark und länger prägen – hoffe ich zumindest. So etwas wie eine greifbare und sich wechselseitig befruchtende Szene bildet sich gerade  nach langem wieder in Wien rund um die Bands Kreisky, A Life A Song A Cigarette, Killed by 9V Batteries und Ja, Panik. Allesamt mit formidablen Alben ins Jahr gegangen, allesamt auf den Sprung ins Ausland – der eine oder andere wird da wohl „picken bleiben“, um den Begriff von oben wieder aufzugreifen. Ja, Panik sind dabei mit „Marathon“ und dem Album „The Taste And The Money“ in der Pole Position.

Darüber hinaus starke Nachlieferungen und beeindruckende Nachweise ihres jeweiligen Status von Velojet über garish bis Naked Lunch, die mit „Military Of The Heart“ sowieso den Vogel in Sachen „Indie-Hit made in Austria“ abgeschossen haben. Auch nicht zu vergessen dabei die Kollaboration der großen Übriggebliebenen aus den 90er-Jahren: Texta und Attwenger in gemeinsamer Höchstform auf „So schnö kaunnst gar net schaun“.

Die große, schöne und positive Überraschung hingegen war Clara Luzia. Nach sehr schönem Debüt „Railroad Tracks“ (2006) kam „The Long Memory“ und damit einher äußerst wohlwollende Kritik. Der Erfolg führt mittlerweile bis nach Holland, wo Clara Luzia am Eurosonic Festival im Jänner 2008 zu Gast ist.

Und halb-österreichisch weil aus „unserem“ Haus kam man an Trouble Over Tokyo nicht so wirklich ganz vorbei. Der Erfolg von Christopher Taylor war freilich nicht nur auf dem famosen Album „Pyramides“ begründet (mittlerweile das meistverkaufte schoenwetter-Album aller Zeiten, im März erscheint es weltweit), sondern vor allem auch auf seine unglaublichen Qualitäten als Live-Act. Da kommt noch was. Ich freu mich drauf. Möge ich 2008 recht behalten

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