Hach, wie muß das schön sein. So einen Radiosender zu haben – und dann noch gotv! Österreich ist das gelobte Land. Die Stimmen aus dem benachbarten Ausland klingen neidisch, und die meinen das auch noch ernst. Aber bei aller objektiven Richtigkeit des Faktums, dass die österreichische Medienlandschaft mit FM4 und gotv aller Unkenrufe zum Trotz zwei echte Türme in der Schlacht stehen hat – es gibt auch viel kritisches anzumerken.

FM4 nämlich kommt in die Jahre. FM4 ist Establishment geworden. Vom Feuilleton geliebt – das schreibt man an sich immer, wenn eine Sendung die man heiß liebt abgesetzt wird oder Harald Schmidt in Pension geht. Und mit FM4 ist das so ähnlich. Es siecht mehr dahin, es hat sein Potential ausgeschöpft, es kann aus seiner Haut nicht heraus und ist gefangen in seinem goldenen Käfig.

„Eine Fangemeinde angezüchtet“ habe sich FM4 wohl, meinte Freund P. unlängst am FM4-Fest, aber „diese wird halt auch eher kleiner als größer“. Und warum? Weil es alltäglich geworden ist, diesen besonderen Sender zu haben. Er ist einfach da. Und die Zeiten, in denen er revolutionär war, neu, glitzernd und strahlend – die sind nach elf Jahren sichtlich vorbei. Aller Anstrengungen zum Trotz.

„In München“, erzälht mir der für die Programmierung verantwortliche M., „sind wir noch etwas Besonderes“. Dort kommen dann auch mehr Leute als unlängst zum Geburtstagsfest in die Arena, dass zum ersten Mal seit Menschengedenken nicht ausverkauft war. Ob das tatsächlich (nur) am eher mittelmäßigen Lineup lag? Daran, dass man nach dem fulminanten Aufgebot der letzten Jahre einfach nicht mehr schritthalten konnte (was traurigerweise wiederum am tobenden Bandenkrieg in der hiesigen Bookinglandschaft liegt)?

Hm… seien wir einmal provokant. Der gemeine, radiohörende Mensch da draussen… sind dem die von FM4 verbreiteten Wahrheiten noch wichtig? Hört wirklich jemand FM4? Außer die Gruppe von „Fans“ und die sich selbst so bezeichnende Elite? Und wie siehts außerhalb des selbstsüchtig pseudo-elitären Stadtzirkels Wiens aus?

FM4 ist gefangen in einem Zimmer, das es selbst gebaut hat. So ergeht es den Leitfiguren und der „Corporate Identity“ des Senders. Martin Blumenau schreit und begehrt auf, verlangt laut, zurecht und gut nach Niveau, nach fragenden Menschen, die den Diskurs suchen. Nur: Das interessiert im kapitalgeilen 2006 kaum jemanden. Die Individualität und H&M mögen der perfekte Widerspruch sein, doch er ist es eben nicht. In Zeiten wie diesen lässt man sich lieber etwas vorgaukeln. Würde man sich mit den Problemen der Zeit ernsthaft auseinandersetzen, würde man zerbrechen – es ist zu viel und zu komplex – von der Globalisierung bis zur Umweltverschmutzung, von der Unfähigkeit der Politik bis zum Medienmonopol…

Und musikalisch ist FM4 wohl Leitfaden, aber dann doch in einem Dilemma. NME und Kollegen nachzueifern, was der heisseste, neueste Scheiß aus Da und Dort sei, ist ja blendend einfach. Aber wenn gleichzeitig das innerhäusliche Konkurrenzverhältnis zu Ö3 die großen Steckenpferde wegnimmt und so die eine Hälfte des Potentials verloren gehen muß (aus strategischen Überlegungen) – was tun?

Travis, Sportfreunde Stiller, Wir sind Helden, Coldplay, ja sogar Green Day sind mittlerweile gefeierte Ö3-Stars und also „Kommerz“, werden vom Gutteil der FM4-Community deshalb plötzlich verachtet, wiewohl sie aus genau jenem Zirkel kommen. Nimmt FM4 diese Acts wahr, ist man auch „Kommerz“ und wird beschimpft, tut man es nicht, nimmt man wieder jene Eliten-Haltung ein, die den Sender für den Normalverbraucher unhörbar macht. Tiefergehende Diskussionen mit offenkundig leidenschaftlichen FM4-Hörern bestätigt das – und zwar deutlich.

Gleichsam nimmt der allgemeine Trend zum „Alternative Mainstream“ natürlich alles weg, was irgendwie relevant wäre. Zu den obigen Beispielen kommt ein aktuelles hinzu: Wenn in England die Arctic Monkeys auf Platz 1 der Charts stehen, dann steht die Tür zu Ö3 ebenso weit offen wie zu FM4. Und letztendlich muß FM4 auf die gleichen Mechanismen zurückgreifen (Hype! Hype! Hype! Überberichterstattung wo nur geht) wie Ö3 und versinkt gleichzeitig in dieser Philosophie, weil es sich nicht mehr etablieren, abgrenzen oder auszeichnen kann. The times, they are a-changing… und die Zeit überholt den einstigen Trendsetter FM4 im Eilzugstempo.

Fraglos unübertroffen ist die Rolle des Senders in der Entwicklung einer Daseinsberechtigung hiesiger Künstler. Aber (auch) diese Bedeutung nimmt radikal ab – wenn kaum jemand mehr die angenagelten Thesen des Senders wahrnimmt, wer soll dann davon profitieren? FM4 verliert an Stellenwert und Bedeutung, und klammert sich gleichzeitig mit allen Krallen an die „Macht“, die es in der Hochblüte vor vier, fünf Jahren hatte, fest.

All das stelle ich relativ nüchtern fest, und es stimmt mich insgesamt traurig. Gäbe es FM4 nicht, wären wir weiß Gott um einiges ärmer. Und FM4 ist immerhin nicht MTV geworden, das – im deutschsprachigen Gebiet nur wenig älter – nichts, aber auch schon überhaupt gar nichts von seiner einstigen Originalität, Themenführerschaft und Vorgaberolle erhalten hat. MTV ist wie ein stundenlang gekauter Kaugummi – zäh und geschmacklos.

Bei FM4 hingegen hat man eher das Gefühl einer lange andauernden Klischee-Ehe – Gewohnheit, langweilig… und der Sex der längst pensionierten Partner ist – wenn überhaupt vorhanden – dann in etwa so wie Billard mit einem Seil. Immerhin hat sich FM4 lange gehalten, die „rosarote Brille“ lange aufbehalten. Und ob es eine „Rettung“ gibt, das wissen nur Monika Eigensperger und Walter Gröbchen.

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