Grün Blau Violett – den Eindruck, den Gewalt auf der Haut hinterlässt. CHRISTLS Stimme webt sich durch melancholische Akkorde und fragt: „Why did you give me life, when you can’t handle yours?“ So reicht uns die Künstlerin die Hand zu ihrer Welt. Wer zuhört, taucht in ihre Farben ein: CHRISTLS Debütalbum »Green Blue Violet / Grün Blau Violett« trifft uns dort, wo es schmerzt. In 15 Tracks – Ton für Ton auf der Suche nach einer Wahrheit, ja, einem Zugeständnis von sich selbst. Dringlich bohren CHRISTLS komplexe Songstrukturen und sensible Lyrik in vergangenen Gewalterfahrungen – denn dort hat das Überleben durch die Kunst für sie begonnen.
Als multidisziplinäre Künstlerin verschmilzt CHRISTL Musik, Literatur und visuelle Kunst. Sie gießt nämlich in eine Form, die nur die ihre ist und fordert ihr Publikum durch kompromisslose Konfrontation. Besprochen werden Themen wie Gewalt, Trauma, Sexismus, Depression und dessen Überwindung. CHRISTL kreiert einen Raum für sich selbst und andere, in einer von ihr gestalteten Welt. Das ist nicht immer leicht einzuordnen, jedoch erfahrbar und vor allem spürbar – nichts ist gleichgültig. Nach CHRISTLS EP »A Room For Her Own« (2021), folgte die Veröffentlichung des Lyrikbands »Ich glaub ich hasse mich« (2023 erschienen im Haymon Verlag), welcher in Synergie mit »Green Blue Violet / Grün Blau Violett« entstand. Weiters wurden CHRISTLS Gemälde 2023 im WUK Wien und in der Galerie Stross in Graz ausgestellt.
Die Zweisprachigkeit ihres mit Spannung erwarteten Debütalbums entwickelte sich intuitiv durch die literarische Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache. CHRISTL singt erstmals in ihrer Muttersprache und verortet sich dadurch nicht mehr nur im Schmerz und der Wut, sondern blickt von außen auf sich selbst. Deutsche Songs wie »Tod«, »Weiter Weg« und »Verstecken« wurden in einem Schreibschwall zur Welt gebracht, wodurch sich für CHRISTL sprachlich „eine neue Welt“ aufgetan hat. Sie meint: „Ich muss darüber reden, sonst kann ich nie wieder über etwas anderes schreiben. Da muss was raus. Aber da ist noch mehr.“
Musikalisch präsentiert die Autodidaktin einen extraordinären Sound mit poetischer Qualität, der Aufmerksamkeit verlangt. Gleichzeitig sind Songs wie »Unter der Decke«, »Yellow Pages« oder »XX« aber auch eingänglich und vor allem zugänglich. Während CHRISTL ihren eigenen Schmerz erforscht, können sich Zuhörende vielleicht auch ihrem eigenen Leid annähern und Schutz in kollektiver Erfahrung finden. Wer will sich nicht weniger allein fühlen?
CHRISTL ist eklektischer Pop und immer auch einen Hauch avant-garde. Als Inspiration nennt CHRISTL Künstler:innen wie Fiona Apple oder Florence Welch. Jedoch entbehren sich Vergleiche, denn bei »Ich Schwimm« oder »Weiter Weg« ist man näher dran als bei anderen Artists – nämlich so nah, wie nur irgendwie möglich – das tut vielleicht auch ein bisschen weh. Es wird an Wunden gekratzt bis sie bluten, es wird sich entblößt. So zeigt sich CHRISTL, im von der Künstlerin Judy Chicago inspirierten Cover, für »Green Blue Violet / Grün Blau Violett« nahezu nackt. Sie legt auch ihre Seele offen dar und atmet im Song »Tod« metaphorischen Zigarettenrauch aus. Sie haucht: „Erheb mich aus der Totenstarre. Ich zünd mir eine. Und ich rauch.“ Dann dämpft CHRISTL aus.
Beim Abspielen von CHRISTLS musikalischem Oevre begegnet uns eine Intensität, die sich nicht zurückdrehen lässt. Der Prozess von »Green Blue Violet / Grün Blau Violett« hat die Künstlerin dabei sehnsüchtig an Orte ihres Ichs entführt, die sie zuvor noch nicht erahnen konnte. Wie auf Schatzsuche im eigenen Unterbewusstsein haben sie Ideen beim Spazieren begrüßt – ganz früh, wenn es noch getaut hat und der Tag sich lichtete. Wie ihre Füße beim Gehen tastet sich CHRISTLS soulige Stimme langsam vor und spricht unabdingbare Wahrheiten aus: Über sich selbst und andere. Das passiert auf ernsthafte, humoristische und emotionale Weise, wie „1, 2, 3, 4, 5, 6, komm raus, ich hab dich gesehen. Du musst dich nicht versteckt verbiegen, weil so biegsam bist du nicht.“
Die Liebe zur Literatur begleitet »Green Blue Violet / Grün Blau Violett« seit dem ersten Entwurf. Nicht nur CHRISTLS eigene Gedichte wurden hierfür von ihren Freund:innen eingesprochen, sondern auch Texte von Kim de L’Horizon’s Debutroman »Blutbuch« spielen zwischen den Tracks im Longplayer. Zuletzt erlaubte Elfriede Jelinek persönlich, von CHRISTL in ihrer Musik wiedergegeben zu werden. Ergänzend und vertiefend zitiert CHRISTL relevante Werke, die sich in einer bunten Collage vor ihrem Publikum entfalten.
Eingesungen und arrangiert wurde ihr Debütalbum versteckt vor brütender Hitze im Studiokeller des Produzenten Andreas Lettner (5K HD) in Kollaboration mit Songwriterin Eva Klampfer (Lylit) – direkt im Herzen von Wien. Fast abgeschottet kreierte sich CHRISTL über die Sommermonate 2023 hier ihren Safe Space. Was würde sie sagen, wenn sie alles aussprechen könnte und keine Konsequenzen zu befürchten hätte? Ihre Antwort folgte in Form von überbordender Emotion, gut hörbar eingeschrieben auf der Platte.
»Green Blue Violet / Grün Blau Violett« ist weniger eine Reise als eine Entwicklung. Beginnend bei der Wurzel, aus der sie selbst entsprang. Endend, indem CHRISTL auf »Ich Schwimm« weitere Facetten ihrer Klangfarbe erkundet. Die Punk-Attitüde des Songs skizziert keine Manifestation von Leichtigkeit, sondern nur das Wissen und den Ausblick, dass die Dinge auch mal anders erscheinen werden. CHRISTL weiß nämlich, das reicht oft schon, um weiterzumachen – im Jetzt.
CHRISTL veröffentlicht ihr Debütalbum »Green Blue Violet / Grün Blau Violett« am 23.02.2024. Es erscheint auf colored Vinyl und auf allen digitalen Plattformen. Am 29.02.2024 präsentiert sie es erstmals in vollem Band-Set-Up live im Radiokulturhaus Wien (Tickets).