Hannes Tschürtz [pic by Markus Sandner]

In unserer Serie „Insight“ stellen wir das Team von Ink Music näher vor. Nach Jessica Ölz gebührt dieser Platz diesmal dem Gründer persönlich. Viel mehr ist seither passiert, als hier in aller Kürze abzudecken ist, also blicken wir ein wenig in die Entwicklungen dieser zweier Dekaden hinein.

Hannes Tschürtz wuchs im Burgenland auf und wurde in der Blütezeit der Festivals Wiesen Mitte der 90er Jahre ebendort in die Musikwelt gestoßen. Nach Abstechern u.a. in den Journalismus (Die Presse) gab er 2001 den Startschuss für das Abenteuer Ink Music. 2009 wurde er als „Österreicher des Jahres“ vorgeschlagen, 2011 gründete er das Musikfilmfestival Poolinale, 2015 rief er den Lehrgang Musikwirtschaft ins Leben. Heute sitzt er u.a. im Vorstand des Labelverbandes IFPI und ist ein international gefragter Speaker auf Fachkonferenzen. [Hannes Tschürtz Bio]

Du hast Ink Music 2001 gegründet. Seither hat sich fraglos eine Menge getan. Was sind die größten Unterschiede in der Arbeit zu den Anfangszeiten?

Österreich hat heute eine sehr breite, vielfältige und vor allem selbstbewusste Musikszene. 2001 war davon nur ein Ursprung vorhanden.  Ich denke und hoffe, wir haben tatsächlich auch einen guten Beitrag zu der Entwicklung seit damals geleistet. Die Rezeption in den Medien ist völlig anders und auch die Medien selbst haben sich verändert. Wir sind reifer, besser und mutiger geworden und die Musik selbst hat einerseits Stärke im Lokalen und andererseits globalen Anspruch entwickelt. Die Musikwirtschaft selbst ist durch wilde Zeiten gegangen – von der CD-Hochblüte zur Krise, zum Download, zum Stream und Vinyl-Revival. Wie es so schön heißt: Unsere einzige Konstante ist die Veränderung.

Ink Music hat seit jeher einen sehr holistischen Ansatz verfolgt. War der Ansatz damals modern, ist er heute antiquiert?

Wofür wir in den frühen Jahre noch belächelt worden sind, ist heute allerorts en vogue. Der Anspruch, dem/der Künstler*in möglichst viel Unabhängigkeit, Kontrolle und Selbständigkeit zu ermöglichen, während man gleichzeitig ein Netz an Services, Know-How und Erfahrung anbietet und Rezepte maßschneidert, mit denen man daraus gemeinsam Nutzen ziehen kann. Diese Arbeit ist in jedem einzelnen Fall enorm komplex und filigran. Dazu ändern sich die Komponenten dieser Arbeit ständig – erkläre deinem MySpace-Ich von 2007, was auf Instagram passiert und warum du das als Musiker*in brauchst. Zudem gibt es keinen „goldenen Weg“, den man einmal gefunden und immer wieder entlang marschieren kann. So mühselig das zusammen alles erscheint, so abwechslungsreich, herausfordernd und spannend hält es den Beruf auch nach 20 Jahren. 

Wo ist dein Platz im Unternehmen heute?

Wir haben 2016 eine Zäsur erlebt und die für uns damals mit einer völligen strategischen Neuordnung beantwortet. Wir wurden eine GmbH, damit einher ging, dass auch formal nicht mehr alles nur auf meinen Schultern lastete. Bettina Schöll kam als operative Geschäftsführerin in die Führungsebene dazu; die Arbeitsteilung, der Netzwerk- und Teamgedanke ist sehr viel besser verankert. So macht das in einer kleinen Firma auch deutlich mehr Spaß.

Ich darf und muss für das gesamte Unternehmen nach vorne schauen und weitreichende Entscheidungen und Entwicklungen vorantreiben. Dazu habe ich bei „meinen“ Artist Management-Projekten viele Aufgaben wahrzunehmen, wiewohl wir auch in diesem Bereich generell in Teams arbeiten und unsere Rollen verteilen. Die lustigen Nebenbaustellen sind dann die monatlichen Jahres-Playlists, die auf meinem Mist gewachsen sind: Ich liebe es.

Du engagierst dich auch musikwirtschaftspolitisch lautstark. Warum?

Im Gegensatz zu vielen Industriezweigen hat Musik und insbesondere die Künstler*innen selber kaum eine nennenswerte Lobby. Umso wichtiger ist es, sich zu organisieren und dort wo es nötig ist, laut zu sein. Es kann durchaus lästig und anstrengend sein, in diversen Gremien zu sitzen und Stunden dahinrinnen zu sehen; Diplomatie zu betreiben und auch immer wieder zu scheitern. Aber heute kann ich sagen, dass man damit zusammen den Österreichischen Musikfonds erfunden hat, Austrian Music Export zum Leben erweckt hat, im jahrelangen Dialog mit Ö3 erreicht hat, dort mehr heimische Musik laufen zu haben – und so weiter. Von all diesen Dingen profitieren wir als Unternehmen nicht wirklich überdurchschnittlich, aber jeder einzelne Schritt hat geholfen, eine stärkere, vitalere Musikszene zu bekommen. Und ich werde nicht müde zu betonen, dass es heute durch mehr Gesellschaft und Wettbewerb viel interessanter und spaßbringender ist, in diesem Bereich zu arbeiten, als vor zehn, fünfzehn Jahren. 

Stichwort Konkurrenz: 2001 waren Agenturen, Managements und Independent-Labels rar – heute herrscht dichtes Gedränge. Wie behauptet man seinen Platz als jetzt alteingesessener Player darin? 

Bei aller zunehmender Konkurrenz geht es in Österreich immer noch recht freundschaftlich und kollegial zu. Es ist fast ein wenig unösterreichisch, wie wenig Neid und relativ viel Kooperationsbereitschaft es gibt. Diese, „meine“ Generation hat hier ein völlig anderes Credo entwickelt, als man dem Österreich-Klischee hätte nachsagen können. Ich hoffe sehr, dass sich das auch in Zukunft nicht anders verhält.

Viele haben durchaus erkannt, dass man auch gemeinsam profitieren kann, wenn man einander auch nur an kleinen Baustellen weiterhilft. Ich habe viele der heutigen „Konkurrenten“ etwa in den Musikwirtschaftslehrgängen unterrichtet oder als Mitarbeiter kennen gelernt. Die sind heute in New York und Berlin tätig oder haben hier eine eigene Agentur gegründet – das ist doch eine großartige Sache! Die bunte Landschaft heute hilft definitiv, frisch zu bleiben, täglich besser zu werden und auch daran zu wachsen.

Wie wird sich der brutale Bruch des Jahres 2020 mittelfristig auf die österreichische Musikwirtschaft auswirken?

Ganz nüchtern gesprochen sind sämtliche positiven Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zutiefst bedroht. 2021 und 2022 werden selbst dann sehr schwierig, wenn wir im Lauf der nächsten zwölf Monate wieder „Normalität“ haben. So einfach und so schnell geht das in der Musikwirtschaft aufgrund der langen Zyklen und komplexen Abläufe nicht.

Ich habe von einer britischen Studie gelesen, derzufolge ein Drittel aller Musiker*innen ihr Berufsfeld verändern müssen. Das ist dramatisch und zutiefst beunruhigend. Wir wissen alle nicht, wie lange einschränken Maßnahmen noch anhalten werden. Diese und daraus abzuleitende Ungewissheiten sind eine ganz neue Herausforderung. Aber es ist ja nicht so, dass wir es bis jetzt leicht gehabt hätten und unsere Kreativität nicht auch einzusetzen wüssten. Es gab heuer schon viele gute Konzepte und Ansätze, freilich waren die meisten eher symbolisch wichtig, können aber ökonomisch nicht ersetzen, was verloren geht. Ohne ernst gemeinte finanzielle Hilfe wird vieles weg- und zusammenbrechen. Ich bin aber selbstbewusst genug, um zu sagen: Wir schaffen das schon.

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