Es ist schade, Anlassfälle zu brauchen, aber hier ist nunmal wieder ein trauriger: Das junge, frische und durchaus lobenswerte und interessante Webzine chilli.cc schließt seine Pforten – mit einer ganz wichtigen Begründung:

„Weitere jahrelange ehrenamtliche Selbstausbeutung der CHiLLi.cc-Mitarbeiter und mir selber kann ich nicht mehr verantworten. Neun Jahre sind genug. Leider hat sich kein Verrückter gefunden, der meine Nachfolge antreten wollte.“

Selbstausbeutung ist ein klassisches „Prinzip Hoffnung“, wenn man ein Mensch ist, der Neues probiert und an sein Projekt glaubt. Man gibt sich sehr lange dieser Hoffnung hin und nicht allzu selten bin auch ich selber vor dem Problem gestanden: „Wie lange tu ich mir das noch an?“, oder war kurz davor, „alles hinzuschmeissen“. (Momentan machts grad wieder sehr viel Spaß, danke der Nachfrage).

Aber: Ist das nicht massiv unfair? Da holt man alles aus sich raus, ist sich der Qualität seiner Arbeit, der Sinnhaftigkeit seines Tuns sicher – aber die wirtschaftliche Situation sagt einem, das man ein Trottel ist? Das man seine Existenz ruiniert oder riskiert, obwohl man auf der anderen, der „dunklen Seite“ der Macht sitzen könnte, massig Kohle scheffeln dürfte und keine finanziellen Sorgen haben müsste? Und man tut es nicht für den Preis, sich in den Spiegel schauen zu können? Wie blöd muss man sein!?

Wer Thomas Webers letztes Editorial in „the gap“ gelesen hat, weiß, wovon ich rede. Je älter man wird, desto wirtschaftlich abhängiger wird man. Im Grunde ist auch das alte „in der Jugend links, im Alter rechts“-Dilemma das selbe. Ideale rücken in den Hintergrund, die Geldbörse nach vorn. Ziele und Wünsche verändern sich, Progressivität und Kreativität weichen konservativeren Werten, Sicherheitsdenken und geistigem Stillstand.

Und irgendwie ist das auch ganz natürlich. Man will oder muss sich eine eigene Wohnung leisten, womöglich eine Familie oder ein erstes eigenes Auto, dass einem nicht der Papa finanziert hat. Die Vorteilscard ist teurer geworden, weil man keine 25 mehr ist, Studentenermäßigungen sind von gestern, weil man sein Diplom bereits in der Tasche hat. Die Welt sagt einem: Werde erwachsen, mach was aus deinem Leben, verdiene Geld, trage zum Wirtschaftswachstum bei und gib´s auch aus!

Es ist bis dahin der vielleicht schwierigste Bruch mit seinem eigenen Leben, ein teils dann doch recht bitterer und harter Lernprozeß, den man keinem abnehmen kann – und er kommt einfach und unangekündigt auf einen zu, früher oder später.

Viel schlimmer als diese wichtigen Erfahrungen sind aber Leute, denen diese Erfahrungen vorbehalten werden. Das sind vorwiegend jene Menschen, die bereits im „Geiz ist geil“-Karma aufwachsen, denen vermittelt wird, wie ultimativ wichtigst Kapital ist. Werte sind hier in erster Linie Zahlen, vorwiegend auf Konten oder gar auf Aktienseiten. „Verdiene Geld!“ ist keine Überlebens-Notwendigkeit, es ist ein Anspruch.

Du musst Geld haben, um mitzuspielen. Schon in jungen Jahren. Und damit werden Idealisten und Ideale immer mehr und immer öfter schon sehr früh in den Hintergrund gedrängt. Und das macht mir Sorgen.  Gleichzeitig ist diese „Ich will alles haben“-Mentalität natürlich nicht neu, aber sie ist immer noch ziemlich dumm. Irgendwie habe ich deshalb durchaus auch Vergnügen und Schadenfreude, wenn ich das System teilweise zusammenbrechen sehe – wenngleich das ein massives wirtschaftliches und allgemein gesellschaftliches und politisches Problem der nächsten Jahre zu werden droht.

In den USA platzt die „Immobilien-Blase“, plötzlich kommen die Leute drauf, dass sie in den letzten 30 Jahren nur „auf Schulden“ gebaut haben – sprichwörtlich. Gleichzeitig merken auch Kreditkarteninstitute, dass ihr „Geschäft“ eigentlich keines ist, wenn ihre Kunden im Glauben eh Geld zu haben plötzlich zahlungsunfähig werden.

Bei uns sind die Kids von heute spätestens mit 17 verschuldet. Aus dem kleinen bißchen Taschengeld von früher sind „Verpflichtungen“ geworden: Handies wollen finanziert werden, der iPod muss irgendwo herkommen, das Auto sowieso und überhaupt. Die Ausgaben der Jugendlichen sind exorbitant, das Kostenbewusstsein dagegen verschwindend gering. Es geht nur noch um den Konsum, um das Habenwollen. Ob man Geld tatsächlih HAT, ist dabei relativ wurscht.

Werte, Ideen, Progressivität? Nada. Kommen in diesem Spiel nicht vor. Die Ironie an dieser Beschwerde ist: Auch diese Leute entgehen dem eingangs erwähnten Spiel nicht, sie merken es bloß nicht. Sie haben zwar weder Kraft noch Wille, sich – notfalls auch unter der Flagge der Selbstausbeutung – an der positiven Veränderung der Gesellschaft zu beteiligen. Sie sind aber auch nicht jene, die genügend Lektionen lernen, um das Spiel zu verstehen – sind die Eltern erstmal nicht mehr da, ist keiner mehr hier, den man ausbeuten könnte. Sie sind vielmehr jene, die ausgebeutet werden – von der bösen, großen, kapitalgesteuerten Welt, der sie auch noch mit Vergnügen in die Karten spielen. Mit der von ihnen selbst mit Wonne gezogenen Arschkarte.

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